(Wie) kann man mit Charts den Kaufzeitpunkt optimieren?
Bereits seit mehr als 15 Jahren existiert auf der Börsenseite www.stw-boerse.de ein Musterdepot-Wettstreit. Eine Gruppe von erfahrenen Privatanlegern demonstriert dort Jahr für Jahr, wie man mit verschiedenen - immer aber längerfristig orientierten - aktiven Aktien-Anlagestrategien den Gesamtmarkt nachhaltig outperformen kann.
Eines der erfolgreichsten Musterdepots dort wird bereits seit 2002 von Thomas Bruck betreut, der unter dem Pseudonym Prof im Web agiert, obwohl er gar kein echter Professor ist. ;-)
Ich (Stefan) selbst hatte vor 15 Jahren die Relevanz der Charttechnik stark angezweifelt und wurde von Prof im Laufe der Jahre eines Besseren belehrt. Prof hat mir in den vergangenen Jahren durch seine stetigen Erfolge als "Chartie" beigebracht, dass auch die Chartanalyse durchaus ihre Daseinsberechtigung hat - z.B. zum Timing des Kauf-/Verkaufszeitpunkts im Rahmen der von mir sonst propagierten Fundamentalanalyse.
Ich bin daher sehr glücklich, dass Prof sich bereit erklärt hat, heute auch hier im High-Tech-Investing-Blog seinen ersten Gastartikel zu veröffentlichen - natürlich über sein Thema Charttechnik. Seinen Blog zu diesem Thema findet Ihr unter https://www.charttechnik-trends.de.
Seit 2002 führe ich (Thomas Bruck aka Prof) auf www.stw-boerse.de das Prof's Musterdepot, dessen Kauf- und Verkauf-Entscheidungen nahezu ausschliesslich auf der Nutzung von Charts basieren.
Der Dax ist seither um 150 % gestiegen, meine Performance beträgt mehr als 500%.
Die größte Outperformance zum DAX gelang mir in den ersten beiden Jahren, da ich die starken Verluste des DAX durch einen charttechnisch signalisierten Komplettausstieg vermeiden konnte. Aber auch in den darauf folgenden 13 Jahren konnte ich den DAX im Durchschnitt um 3,5 % p.a. schlagen und mich im Umfeld exzellenter Musterdepotkollegen gut behaupten.
Seit Sommer 2017 setze ich meine bewährte Strategie nun auch im investierbaren wikifolio "Trendfolge mit Charts" um. Wie der Name schon sagt versuche ich mit meiner Strategie den mittel- bis langfristigen Aufwärtstrends von Einzelaktien zu folgen. In Schwächephasen steige ich aus.
Die Grundannahme der Charttechnik
Der (oft belächelte) Grundgedanke der Chartstrategie ist:
"Der Chart weiß alles!"
Soll heissen: Jede Über- oder Unterbewertung einer Aktie wird von den Anlegern erkannt und der Kurs reagiert sofort darauf.
In diesem Beitrag geht es um die erste Hälfte der "Arbeit" eines jeden Anlegers: den Kaufentscheidungen. Dieser Teil macht mir persönlich mehr Spaß als der Verkauf.
In einem zweiten Artikel werde ich mich detailliert mit den Verkaufentscheidungen beschäftigen. Vorab aber schon einmal so viel:
Der Chartie verkauft meist nach einer Enttäuschung:
Entweder
die Aktie fällt direkt nach dem Kauf und muss mit Verlust verkauft werden
oder
die Aktie fällt aus dem Aufwärtstrend. Oftmals werden hier bis 20% vom Top verschenkt. Auch das tut weh. Wenn sich eine Aktie verdoppelt hat und anschließend um 20% fällt und verkauft wird, liegt der Gewinn nur noch bei 60% und nicht mehr bei 100%
Mein Handwerkszeug - die Darstellung der Charts
Ich nutze ausschließlich logarithmische Charts: Denn es ist gleich, ob eine Aktie von 10€ auf 20€ oder von 30€ auf 60€ steigt. Sie steigt in beiden Fällen um 100%. Gerade bei langfristigen Trendlinien ist dies enorm wichtig. Würde die Aktie im zweiten Fall nur noch von 30€ auf 40€ steigen, dann flacht der Trend ab. Das kann schon ein erstes Verkaufssignal sein, das man nur im logarithmischen Chart erkennen kann.
Ich nutze außerdem ausschließlich Candlestick Charts: Die Information, ob die Aktie im Laufe des Tages gestiegen (weiße Kerze) oder gefallen (rote Kerze) ist, zeigt mir, wie viel Optimismus oder Pessimismus in der Aktie steckt. Nur hier lässt sich auch ein Hammer (ein starker Ausschlag nach oben oder unten, der bis zum Tagesende wieder ausgeglichen wird) erkennen.
Ich bin relativ stark auf die eigentlichen Charts fixiert und nutze neben den Charts und ihren Trendlinien nur gleitende Durchschnitte. Selbst die Umsätze schaue ich mir nur am Rande an. Denn es ist eigentlich i.d.R. klar: Bei starken Kursbewegungen steigen die Umsätze.
Mein Selektionsprozess
Wenn sich der DAX zumindest im Seitwärtstrend befindet und eine ausreichende Cashreserve vorhanden ist, screene ich ca. 250 Aktien "unterhalb" des DAX. In DAX-Aktien investiere ich nur äußerst selten, da ich hier in der Vergangenheit zu oft Fehlsignale erhalten habe. Ich schaue mir also die Aktien des MDAX, TecDAX, SDAX und ca. 100 Nebenwerte an.
Außerdem schaue ich mir Charts zu Werten an, die in anderen erfolgreichen wikifolios und Musterdepots gerade in sind und sehe mir in diesem Zusammenhang auch Auslandswerte zur besseren Diversifikation an.
Für die Aktien, die in die engere Wahl kommen, setze ich eine E-Mail-Benachrichtigung und warte ab. Solche E-Mail-Benachrichtugungen kann man sich in der Watchlist bei verschiedenen Börsendiensten einrichten. Ich nutze dafür die kostenlose Limitliste von www.finanztreff.de.
Diese Limitliste enthält aktuell nur sehr wenige Kaufkandidaten. Die Mehrheit der Positionen sind meine aktuell im wikifolio Trendfolge mit Charts gehaltenen Aktien. Hier ist eher das untere Limit interessant, um keine Ausstiegssignale zu verpassen.
Aber ich freue mich natürlich auch über den Durchbruch eines oberen Limits. In einigen Fällen kaufe ich hier zu. Ansonsten wird das Limit nach oben korrigiert, in der Hoffnung, dass es wieder durchbrochen wird.
Im folgenden beschreibe ich die 4 wesentlichen Szenarien, in denen ich mich zum Kauf entscheide.
Szenario 1: Kauf im laufenden Aufwärtstrend (der Klassiker)
Das ist das langweiligste Szenario ...
... es kann aber durchaus äußerst erfolgreich sein.
Wer wie ich in den vergangenen drei Jahren den TecDAX-Wert S&T kaufte, der hat auf Sicht von einigen Monaten zu keinem Zeitpunkt etwas falsch gemacht.
Aber jeder laufende Aufwärtstrend wird einmal gebrochen und daher kann es für den Chartie in diesem Szenario auch anders kommen, wie man am Beispiel iRobot sieht. Der steile Aufwärtstrend etablierte sich von März 2016 bis August 2017. Ein charttechnisch orientierter Käufer konnte also davon ausgehen, dass er sich fortsetzen wird, zumal auch fundamental das Wachstum des Unternehmens ungebrochen ist.
Seit August 2017 geht es jedoch mit dem iRobot-Kurs kräftig nach unten, im September wurde durch den Bruch des Aufwärtstrend ein Ausstiegssignal erzeugt. Stefan ist hier nach wie vor aus fundamentalen Gründen investiert. Es wird interessant zu beobachten sein wie das ausgeht.
Szenario 2: Kauf bei Ausbruch über einen Horizontalwiderstand
Dies ist mein Lieblingsszenario: Je länger und intensiver der Horizontalwiderstand manifestiert wurde, umso schwungvoller ist in der Regel der Ausbruch.
Ich bin für mein wikifolio Trendfolge mit Charts bei Fortec am 12.09.2017 beim Ausbruch über den angezeigten Horizontalwiderstand zu 19,59 € eingestiegen und es stehen aktuell 16% Kursgewinn zu Buche.
Ich möchte Euch hier aber auch ein Negativbeispiel für dieses Szenario mit einem unglücklichen Einstiegssignal geben:
Ich bin bei Francotyp Postfalia am 25.05.2017 nach dem Ausbruch aus dem Seitwärtstrend eingestiegen und musste drei Monate später nach der Veröffentlichung von enttäuschenden Geschäftszahlen leider 10% Verlust (inklusive Dividende) realisieren. Seitdem ist die Aktie um weitere 20% gefallen, der Chart hat mir also immerhin noch rechtzeitig ein Ausstiegssignal gegeben und damit geholfen, größere Verluste zu vermeiden.
Szenario 3: Kauf einer Neuemission bei Höchstkurs auf Tagesschlusskursbasis
Gerne steige ich in Neuemissionen ein, die nach dem IPO zunächst gefallen waren, dann aber die Verluste wieder aufholen und auf einem Höchstkurs schliessen.
Bei Siltronic war mit diesem Szenario in den vergangenen 2 Jahren ein Gewinn von 200% möglich.
Fehlsignal bei Varta
Leider gibt es jedoch auch in diesem Szenario das ein oder andere Fehlsignal. Mein Investment in Varta ist noch nicht abgeschlossen, aber es sieht derzeit nicht gut aus:
Ich bin bei Varta vor wenigen Wochen zum höchsten Tagesschlusskurs (Ende der weißen Kerze) rein. Seitdem geht es kontinuierlich bergab und bei 20€ musste ich die Aktie mit 8,5% Verlust verkaufen.
Solche Fehlsignale sind ärgerlich aber kein Beinbruch, wenn man sich den oben stehenden Siltronic-Chart mit seinem Verdreifacher ansieht.
Szenario 4: Kauf nach einer charttechnischen Trendwende
Gerne investiere ich in Werte, die von fundamental orientierten Investoren wie Stefan empfohlen werden UND bei denen die Charttechnik eine Trendwende signalisiert.
So hat Stefan Nutanix am 20.09.2017 in sein wikifolio High-Tech Stock Picking aufgenommen und ich bin ihm nur wenige Stunden später gefolgt.
Denn die Konstellation war optimal:
der Abwärtstrend hatte ein Ende gefunden
die Aktie befand sich am unteren Ende des Aufwärtstrends seit Mai. Im Falle eines Fehlkaufes hätte ich mit relativ geringem Verlust glattstellen können.
Seitdem freue ich mich über einen 60%-Anstieg der Nutanix-Aktie.
Ich beobachte die Charts übrigens stets in Landeswährung, da dort die liquidesten Märkte vorherrschen.
Worauf es insgesamt ankommt!
Ich hoffe Du hast gesehen, dass es in all diesen Szenarien neben erfolgreichen Investments immer auch zu Fehlsignalen kommt und Verluste realisiert werden müssen. Um langfristig mit dieser Trendfolgestrategie erfolgreich zu sein, kommt es also letzten Endes auf drei Dinge an:
Wie ist das zahlenmäßige Verhältnis von Gewinnern zu Verlierern nach dem Kauf?
Wieviel Verlust entsteht bei den Verlierern?
Wieviel Gewinn kann mit den Gewinnern tatsächlich realisiert werden?
Ich bin kein Statistiker und habe diese Zahlen bisher in all den Jahren noch nie systematisch aufgezeichnet.
Was ich aber aus meiner Erfahrung sagen kann ist, dass es im langjährigen Durchschnitt wohl etwas mehr erfolgreiche Signale gibt als Fehlsignale. Das ist aber gar nicht das Wichtigste. Denn die entscheidende Outperformance wird dadurch erreicht, dass man Gewinne laufen lässt mit einer hohen Depotgewichtung von bis zu 15% und damit auch regelmässig mal eine 3-stellige Performance erzielt in einem Wert.
Die Verluste hingegen werden rechtzeitig begrenzt durch die Beachtung von Stopkursen. Wie man diese Verkaufssignale erkennt bzw. Stopkurse setzt, so dass man nie mehr als 0-20% verliert in einer Position nach einem Fehlsignal, dazu gibt's wie gesagt mehr Infos in einem Folgebeitrag hier auf diesem Blog.
Zwei Anmerkungen zum Schluss
1.) Problem beim Kauf: Klumpenrisiko
Die Chartstrategie trägt das Risiko der Klumpenbildung (Übergewichtung einzelner Branchen) in sich. Aktien der gleichen Branche befeuern sich oft gegenseitig. So geschehen in 2016 in der Immobilienbranche oder 2017 in der IT oder Fintech – Branche. Es gilt hier sehr genau die Chancen gegen die Risiken abzuwägen. Was passiert, wenn die steigende Branche plötzlich fällt? Die Korrelation liegt bei marktbreiten Aktien einer Branche meiner Erfahrung nach bei ca. 0,75.
2.) Nachkäufe nach unten versus Zukäufe nach oben
Die Chartstrategie verbietet Nachkäufe nach unten. Wenn eine Aktie gefallen ist, so hat sich ihre charttechnische Situation verschlechtert. Es gibt also für den Charttechniker keinen Grund, nachzukaufen. Er verbilligt grundsätzlich nicht!
Durch das Nicht-Nachkaufen wird verhindert, dass Fehlinvestments ausgebaut werden und der psychische Druck in einer Einzelposition steigt. Es mag erfolgreiche antizyklische Investoren geben, die bei einer fundamental positiven Einschätzung nach unten nachkaufen (Stefan kann da von etlichen erfolgreichen Investments berichten). Der charttechnische Anleger sollte aber nicht dazu gehören.
In diesem Punkt unterscheidet sich die Chartstrategie ganz stark vom fundamental orientierten Anleger. Letzterer sieht in einem Kursrückgang nach eingehender Prüfung der Fundamentaldaten eine Kaufgelegenheit.
Zukäufe einer Position, die im Gewinn liegt sind erlaubt und erwünscht.
Das Risiko, dass die zugekaufte Tranche einen Verlust erleidet und somit der Gesamtgewinn in dieser Position sinkt, wird in Kauf genommen. Im Gegenzug erhält man die Chance, eine sehr stark gewichtete Position nach oben zu führen, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Gesamtperformance des Depots.
Das Konzept der wikifolios ermöglicht den gebührenfreien Zukauf kleinerer Positionen. Ich handhabe es so, dass jeweils bei Überspringen eines weiteren Horizontalwiderstandes ca. 10% der ursprünglichen Menge einer Position hinzugekauft werden.
In Ausnahmefällen werden bis zu 50 % der ursprünglichen Position dazugekauft. Natürlich muss die Gesamtgröße der Position beachtet werden. Ich setzte mir hier ein Limit von ca. 15% des gesamten Depots.
Dieser Chart der FinTech Group zeigt eindrucksvoll die Chancen der Chartstrategie auf.
Stefan hatte die Aktie am 07. April 2017 erstmalig auf www.stw-boerse.de vorgestellt.
Ich wartete den Ausbruchs ab und stieg am 10.Mai für das Prof's Musterdepot auf stw-boerse mit 750 Stück ein. Bereits fünf Tage später war die Aktie um 7% gestiegen und der Ausbruch somit bestätigt. Ich legte mit 450 Stück nach.
Am 28.07. erstellte ich mein wikifolio "Trendfolge mit Charts mit FinTech Group im initialen Portfolio
Am 12.09. erhöhte ich die dortige Position noch einmal um 10%.
Chance 4, 5 und 6 habe ich nicht mehr genutzt, was im Nachhinein schade ist.
Fazit
Man kann zusammenfassend sagen, dass genau mit solchen Erfolgen die nachhaltige Outperformance erreicht wird. Mit einer einzigen derartigen Position kann man etliche unvermeidbare und schmerzhafte Fehlversuche überkompensieren.
Zur alles entscheidenden Frage wie ich im Rahmen meiner Chartstrategie die Verkaufsentscheidungen treffe, findet Ihr hier einen weiteren Beitrag: https://www.high-tech-investing.de/single-post/2018/01/16/Wie-kann-man-mit-Charts-den-Verkauf-von-Aktien-optimieren
Welche Rolle spielt die Charttechnik in Euren eigenen Anlageentscheidungen?
Wenn Du mehr zum Thema Charttechnik erfahren willst, dann schau doch mal auf meinem eigenen Blog vorbei: https://www.charttechnik-trends.de