Paywall statt Pageview: Die Flucht der Finanzblogger ins Abo-Zeitalter
- Stefan Waldhauser
- vor 12 Minuten
- 5 Min. Lesezeit

Die Frage, ob künstliche Intelligenz das Bloggen „töten” wird, geistert seit dem Aufkommen von ChatGPT & Co. durch die Content-Szene. In kaum einem anderen Bereich spüren Solo-Publisher – wie ich einer bin – und kleine Teams die Disruption so unmittelbar: Erst schwanden die Kommentare, dann die Reichweite in den sozialen Medien – und nun verschwindet aufgrund von Googles neuen KI-Boxen auch noch der organische Such-Traffic, der den eigenen Inhalten bisher immer neue Leser zuführte.
Blogger, die – anders als ich – auf Werbebanner oder Affiliate-Links setzen, merken den Traffic-Einbruch direkt an ihrem Bankkonto. Das betrifft insbesondere Finanzblogger, die ihre Inhalte bisher erfolgreicher als andere Branchen über Werbung vermarkten konnten. Zumindest wenn sie zweifelhafte Werbung für unseriöse Finanzseiten auf ihren Seiten zulassen. Ich selbst habe die Vermarktung meines „High-Growth-Investing“ HGI-Blogs über derartige Werbung zwar immer abgelehnt, bin aber dennoch von der KI-Revolution genauso betroffen wie alle anderen Finanzblogs.
Zeit für eine Bestandsaufnahme
Bisher war das Veröffentlichen von hochwertigen Aktienanalysen eine gute Möglichkeit, um sich im offenen Internet einen guten Ruf zu erwerben, über Verlinkungen eine hohe Glaubwürdigkeit gegenüber Suchmaschinen aufzubauen und letztlich immer mehr Leser über Google auf den eigenen Seiten begrüßen zu können.
Das ist vorbei. Denn Google verarbeitet die kostenlos von mir und allen anderen Bloggern bereitgestellten Inhalte nun selbst in den „KI-Summaries“. Diese sind mittlerweile auf den Google-Seiten allgegenwärtig und so gut, dass sie das Besuchen der Originalinhalte, also meines Blogs, oftmals überflüssig machen.
Auf den Blogs verbleibt die Stammleserschaft – in meinem Fall eine durchaus stattliche Community. Wenn ich diese jedoch näher analysiere, stelle ich fest, dass ich mit meinem Investment-Blog und dem zugehörigen HGI-Newsletter zwar immer mehr Finanzprofis erreiche, aber nur noch wenige Nachwuchs-Börsianer. Ich bin durchaus stolz darauf, dass meine Investment-Ideen und Aktienanalysen bei Banken, Vermögensverwaltern und Fondsmanagern intensiv gelesen werden. Aber seien wir ehrlich: Vor vielen Jahren habe ich diesen Blog gestartet, um die Aktienkultur im deutschsprachigen Raum voranzubringen und nicht, um Finanzprofis kostenlos über Tech-Aktien aufzuklären.
Leider muss ich ernüchtert feststellen, dass das Interesse der Privatanleger, insbesondere der Börsenneulinge, an meinem Content in den vergangenen ein bis zwei Jahren signifikant geringer geworden ist. Die große Mehrheit der jungen Anleger will heute im Internet lernen, wie man an den Märkten schnell reich wird. Sei es mit Aktien, sei es mit Kryptos oder wie auch immer.
Wer wie ich zunächst einmal Wissen vermitteln will und dann auch noch behauptet, „Get Rich Quick“ sei keine gute Idee, ist für die breite Masse erst einmal uninteressant. Traurig, aber wahr: Mit einer langjährigen Rendite von über 12 % p. a., wie ich sie über Jahrzehnte erzielen konnte, gilt man heutzutage bei jungen Leuten als Underperformer. In den vergangenen zehn Jahren war es zu einfach, mit einem Nasdaq-ETF oder Einzelinvestments in Tesla, Nvidia, Palantir und Co. hohe Buchgewinne (und Klumpenrisiken) anzuhäufen. Die Aussicht, mit meiner HGI Strategie "erst" in 25 oder 30 Jahren finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen, klingt da nicht besonders attraktiv.
Das Ende des offenen Internets? Paywalls übernehmen
Was können unabhängige Autoren gegen diesen Trend tun? Wie soll man neue interessierte Leser finden, wenn Google als Quelle für organischen Traffic nicht mehr funktioniert?
Natürlich könnte man auf Performance-Marketing ausweichen und Google oder Meta dafür bezahlen, dass die Tech-Riesen neue Besucher auf die eigenen Seiten spülen. Doch dieser Weg ist teuer und für die wenigsten unabhängigen Blogger sinnvoll.
Außerdem wäre damit das Problem nicht gelöst, dass KI Gedanken schamlos klaut und selbstständig verwertet. Es liegt vielmehr nahe, dass man als Autor werthaltiger Inhalte die kostenlose Nutzung durch KI untersagen bzw. verhindern sollte.
Am einfachsten ist das durch eine Paywall möglich, wie sie von modernen Blogging-Plattformen wie Substack angeboten wird. Diese auf Abo-Modellen basierenden Plattformen unterstützen die Autoren – gegen Umsatzbeteiligung – dabei, eine wachsende Leserschaft aufzubauen, und helfen mit allen möglichen Tools auch dabei, die Inhalte bekannt zu machen.
Der Umstieg auf Abo-Modelle, den derzeit viele Finanzblogger vollziehen, ist dabei weniger ein Trend als eine notwendige Anpassung an die neue, KI-getriebene Suchwelt.
Bisher waren bezahlte Abos für mich kein Thema. So habe ich meinen englischsprachigen Content zwar bereits seit fast zwei Jahren hier auf Substack veröffentlicht, aber bisher ebenfalls zu 100 % kostenlos für meine wachsende englischsprachige Leserschaft bereitgestellt. Davon profitieren natürlich auch die KI-Modelle, die meinen Content ohne nennenswerte Gegenleistung aufsaugen.
Wie geht es im KI-Zeitalter weiter?
Acht Jahre nach dem Start meines High-Growth-Investing-Blogs habe ich einen kritischen Punkt erreicht. Ich muss meine Arbeit für das KI-Zeitalter komplett neu aufstellen. Und ich kann allen Bloggern und Content Creators da draußen nur raten, sich ebenso zu hinterfragen.
Das Internet wird sich im KI-Zeitalter kolossal verändern. Das gute alte Web, in dem Nutzer qualitativ hochwertige Inhalte kostenlos finden konnten, wird in wenigen Jahren der Vergangenheit angehören. Denn KI wird die bisherigen Geschäftsmodelle rund um hochwertigen, von Menschen erzeugten Content zerstören. Was vom offenen Internet übrig bleiben wird, ist eine Flut von mehr oder weniger mit KI generierten Inhalten. Was passiert, wenn die KI-Modelle zunehmend von den via KI generierten Inhalten lernen, wage ich mir nicht einmal vorzustellen.
Das heutige Internet ist nicht ausreichend auf das KI-Zeitalter vorbereitet. Es braucht eine Kennzeichnung der durch KI generierten Inhalte. Das ist jedoch nicht einfach, da mittlerweile fast alle Autoren – mich eingeschlossen – KI-Tools verwenden, um ihre eigenen Inhalte zu optimieren. Das heißt, es gibt hier nicht nur Schwarz und Weiß, denn auch bei den allermeisten menschlich erstellten Beiträgen ist mittlerweile KI in der einen oder anderen Form beteiligt.
Was nichts kostet, ist nichts wert
Schon seit Jahren höre ich immer wieder die gut gemeinte Empfehlung, meine Inhalte mit einem Preisschild zu versehen, um entsprechende Wertschätzung zu erhalten. Ich habe diese Empfehlung bisher immer mit dem Argument weggelächelt, dass ich glücklicherweise finanziell unabhängig bin und nicht mit Werbung oder Abonnements meinen Lebensunterhalt verdienen muss.
Aber an dem alten Spruch „Was nichts kostet, ist nichts wert“ ist viel Wahres dran. Qualitativ hochwertige Inhalte kosten in der Regel Geld und sind insbesondere im Bereich der Finanzanalysen unglaublich wertvoll. Ich selbst gebe mittlerweile in meiner Rolle als Investor viel mehr Geld für Abonnements hochspezialisierter, unabhängiger Publikationen aus als noch vor ein bis zwei Jahren. Deren Qualität ist teilweise herausragend. Und mit einer einzigen guten Investmentidee hat sich ein solches Abo über Jahre hinaus bezahlt gemacht.
Auf Substack allein gibt es über fünf Millionen bezahlte Abonnements, viele davon unterstützen Finanzblogger und unabhängige Finanzjournalisten. Etliche von ihnen können mittlerweile recht gut von ihrem Content leben. Man hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich mit meinem kostenlosen Blog diesen unabhängigen Autoren ein Dumping Angebot gegenüberstelle. Das ist natürlich nicht meine Absicht und ich möchte mich mit diesen Autoren solidarisieren. Auch diese unbefriedigende Konkurrenzsituation spricht also für ein Ende meiner bisherigen Strategie, mein Wissen kostenlos für jedermann – und für die KI – bereitzustellen.
Die Zukunft des HGI-Blogs
Ich weiß selbst noch nicht genau, wie ich meinen Blog für das KI-Zeitalter aufstellen werde. Das werde ich mir in den kommenden Wochen genauer überlegen. Aber ich weiß, dass humane Investment-Erfahrung und das eigene Gehirnschmalz bei der Aktienanalyse und dem Portfolio-Management – wie in vielen anderen kreativen Tätigkeitsfeldern auch – im Zeitalter der KI nach wie vor einen großen Mehrwert haben werden.
Es kommt jetzt für uns Finanzblogger wie für alle anderen Wissensarbeiter darauf an, ausreichend flexibel zu sein und auf die Herausforderungen zu reagieren, die die KI mit sich bringt.
Wir leben in spannenden Zeiten.
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