Twilio: die Aktie des Telco-Herausforderers
Heute möchte ich Euch ein Enterprise Software-Unternehmen vorstellen, dessen Produkte fast jeder von Euch schon einmal genutzt hat von seinem Smartphone aus - i.d.R. ohne es zu wissen. Die Aktie ist im deutschsprachigen Bereich noch fast gänzlich unbekannt, obwohl es sich um ein milliardenschweres Unternehmen handelt, das seit dem Börsengang in 2016 schon eine bewegte Historie mit Höhen und Tiefen hinter sich hat.
Es geht um Twilio, das ist ein 2007 gegründeter Anbieter von Cloud-Kommunikations-Services. Das Twilio Produktangebot kann man sich vorstellen als eine Toolbox für Software-Entwickler, die möglichst einfach und schnell die verschiedensten Kommunikations-Funktionen in ihre Apps integrieren möchten.
Was ist Twilio?
Twilio macht also z.B. einen Telefonanruf oder das Versenden einer SMS verfügbar als Software-Baustein in der Cloud. Doch dies sind nur die einfachsten Funktionalitäten, die Twilio so anbietet mit seiner Kommunikations-Plattform. Mittlerweile sind im Twilio-Produktportfolio viele weitere Kommunikationskanäle auch für Video-, Chat,- oder Social Media verfügbar. All das steht für die Softwareentwickler bereit für die einfache Einbindung in deren Apps über Standardschnittstellen.
Und der Bedarf ist riesig: Über alle Branchen hinweg werden derzeit solche Kommunikations-Funktionen integriert in neue digitale Geschäftsprozesse. Denn eine Modernisierung der Kanäle für die Kundenkommunikation steht auf der Agenda fast jeder Digitalisierungsstrategie - natürlich ganz im Sinne einer Verbesserung der Customer Experience. Und nebenbei helfen diese Funktionen den Unternehmen, endlich einen vollständigen 360-Grad-Rundumblick auf ihre Endkunden zu bekommen.
Twilio ist die erste Adresse in diesem Segment und aktuell bestens dafür positioniert, sich zu einem dominanten Player in diesem Wachstumsmarkt zu entwickeln. Im Endeffekt geht es hier um nicht weniger als die Disruption der ehemals hardwarelastigen Kommunikationstechnologie durch clevere Softwarelösungen in der Cloud.
Das Geschäftsmodell
Twilio agiert auf der Basis eines sogenannten PaaS-Geschäftsmodells (Platform as a Services). D.h. auf der eigenen Plattform werden die Funktionalitäten als Services für Entwickler über einfache Schnittstellen bereitgestellt. Die Leistungen werden nutzungsabhängig bepreist, d.h. gezahlt wird z.B. für jede einzelne SMS, die in der Applikation des Kunden zum Endkunden verschickt wird. Das kann u.U. sehr schnell sehr teuer werden für die Kunden und Twilio ist in der Branche auch bekannt dafür, dass man Premium-Preise bezahlen muss, die teilweise 50% teurer sind als beim Wettbewerb.
In der Vergangenheit gab es daher auch schon einige Analystenkommentare, die bezweifelten, ob Twilio dauerhaft diese Premium-Preise am Markt durchsetzen kann. Denn es gibt mittlerweile zahlreiche Nachahmer und Anbieter ähnlicher Funktionalität. Aber offenbar funktioniert die Twilio-Technologie tatsächlich zuverlässiger als die Wettbewerber, so dass die Twilio-Kunden mehr denn je bereit sind, für eine weltweit stabile Kommunikation mit ihren Endkunden tief in die Tasche zu greifen.
Was macht Twilio besser als die Wettbewerber?
Zunächst einmal gibt Twilio viel mehr als andere Unternehmen für die Entwicklung ihrer Technologie aus. Die Ausgaben für Forschung + Entwicklung sind ungewöhnlich hoch (30% des Umsatzes in 2017), dagegen ist der Aufwand für Marketing und Vertrieb viel geringer als bei den meisten anderen Software Companies. Nur 21% des Umsatzes betrug dieser Kostenblock in Q4, andere geben hier das Doppelte aus.
Das Vertriebsmodell von Twilio ist deswegen so effizient, weil man bewusst die Softwareentwickler als Zielgruppe definiert hat und sozusagen "von Entwicklern für Entwickler" an die IT verkauft. Ich mag solche Entwickler-geführten Unternehmen, denn da kann man sich ziemlich sicher sein, dass hier nur Dinge verkauft werden, die auch wirklich funktionieren und mit dem Kunden skalieren können.
Beeindruckende Kundenbasis
Das Unternehmen hat eine breite Kundenbasis von 50.000 Kunden quer über alle Branchen hinweg. Die Twilio Customer Stories sind eine umfangreiche Ansammlung von Anwendungen bei digitalen Unternehmen wie AirBnB, Uber und Netflix, aber auch klassische Großunternehmen wie Coca-Cola oder Sony sind dabei.
Die Abhängigkeit von einigen Großkunden war ein Problem, die zum Absturz der Twilio Aktie in 2016/2017 führte. Denn als bekannt wurde, dass der damals grösste Kunde Uber seine Kommunikationsdienste zukünftig unabhängig von Twilio selbst entwickelt, fiel die Twilio-Aktie innerhalb weniger Monate von fast 70$ bis auf 23$. Mittlerweile ist diese Abhängigkeit von einzelnen Kunden reduziert, man macht "nur" noch 5% Umsatzanteil mit Uber und weitere 7% mit dem Großkunden Whatsapp.
Wachstum ohne Ende
Doch selbst die Reduzierung des Umsatzes mit einzelnen Großkunden hat das rasante Wachstum in 2017 nicht aufhalten können. So ist der Umsatz in 2017 um 44% auf $399M gewachsen. Und bereinigt um Uber waren es im vergangenen Quartal sogar über 62% Wachstum, das ist schon bemerkenswert. In den vergangenen 3 Jahren hat sich der Umsatz sogar mehr als vervierfacht.
Noch immer ist das Unternehmen im Land Grab - Modus, d.h. das Umsatzwachstum geht vor Profitabilität und das wird sich wohl auch in 2018/2019 noch nicht ändern. Das Management hat sich zuletzt erstaunlich optimistisch geäußert und sieht auch auf absehbare Zeit Wachstumsraten von 30% oder mehr.
Was ist mit der Profitabilität?
Leider sind die Brutto-Margen bei Twilio nicht so hoch wie etwa bei anderen Softwarefirmen und liegen aktuell bei 53%. Der Grund dafür ist, dass der Betrieb des weltweiten Netzwerks für die Twilio-Services sehr viel Geld kostet. Allerdings ist das wohl gut angelegtes Geld, denn das Unternehmen lebt von der überlegenen Zuverlässigkeit dieses Netzwerks.
Für mich besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist der operative Cashflow. Und der ist in etwa ausgeglichen seit einigen Quartalen, d.h. die Company "verbrennt" aktuell kein Geld mehr auf ihrem Wachstumskurs.
Die langfristige Strategie von Twilio wird wohl dahin abzielen, dass man sich vom reinen Infrastruktur-Anbieter weiterentwickelt zum Anbieter von kompletten Businesslösungen z.B. für Callcenter. Damit ließen sich auf Basis der bereits geschaffenen Infrastruktur sicherlich relativ einfach neue sehr profitable Umsatzquellen erschliessen.
Twilio als Übernahmekandidat
Schon vorbörslich hatten sowohl Salesforce als auch Amazon in Twilio investiert. Dies ist allerdings nicht ungewöhnlich bei Silicon Valley-Companies. Bemerkenswerter ist aber, dass Salesforce kürzlich weitere Aktien gekauft hat, allerdings ist der Anteil bisher dennoch eher unbedeutend bei 1-2%. Die Absicht von Salesforce ist mir unklar, aber mit seiner offenbar überlegenen Technologie ist Twilio sicherlich ein attraktives Übernahmeziel für eine ganze Reihe von potentiellen Käufern.
Bewertung
Auch wenn die Twilio-Aktie nur halb soviel kostet wie direkt nach dem gehypten IPO in 2016, so ist die Aktie mit einem EV/Sales-Ratio von 5,5 sicherlich auch aktuell kein Schnäppchen. Aber ich gehe davon aus, dass das Wachstum in den kommenden 4 Jahren weiterhin mindestens bei 30% liegt (mit abnehmenden Wachstumsraten). Dann wäre der Umsatz in 2021 mindestens $1,2 Mrd. Bei einem moderaten EV/Sales-Verhältnis von 3-4 wäre ein Enterprise Value von $4Mrd. bis dahin sicherlich erreichbar. Das ist ein Potential von 70% gegenüber den heutigen Kursen.
Ich habe jedenfalls in den vergangenen Tagen eine Einstiegsposition für mein High-Tech Stock Picking wikifolio.
Disclaimer
Der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von Twilio. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.